Nutzpflanzen in historischen Gärten


Weißer Winterkalvill

(Malus domestica L.)

Der "Weiße Winterkalvill" stammt vermutlich aus Frankreich und wird erstmalig 1598 von Johann BAUHIN als "Weiß Zürich äpffel" schriftlich erwähnt. (1) Zu den zahlreichen synonymen Namen zählen: "Calville blanche d’hiver", "Weißer Himbeer- oder Erdbeerapfel", "Paradiesapfel", "Melonenapfel" oder "Admirable Blanche". (2) Die Sorte stellt hohe Ansprüche an den Standort. Die Blütezeit ist früh und kurz, zudem auch witterungsempfindlich. Nur in warmen Lagen und auf erstklassigen Böden reift der "Weiße Winterkalvill" zu einem erstklassigen Tafelapfel aus. Die Sorte ist für verschiedene Pilzkrankheiten stark anfällig, insbesondere für den Schorf. Aber auch andere Schädlinge scheinen die Qualität dieser edlen Sorte zu schätzen und suchen sie deshalb gerne auf.

Charakteristisch an diesem Apfel ist die stark kantige Form mit fünf erhabenen Höckern. Vollreif ist die Frucht gelb gefärbt und stellenweise leicht rötlich überhaucht. Man erntet den Apfel im Oktober und kann ihn dann bis zum April lagern. Unter günstigen Umständen können die Früchte sehr groß werden (bis 450g!). Das Fruchtfleisch ist grünlich weiß, feinzellig, sehr aromatisch gewürzt, bei Überlagerung mitunter leicht mürbe. (3) Der Weiße Winterkalvill ist laut Johann Prokop MAYER "von einem so ausgesuchten Weingeschmak, daß man Ananas zu essen glaubt, oder, Erdbeeren, die mit Champagner angemacht sind." (4) Aufgrund des herausragenden Geschmacks galt er als "der König der Äpfel". (5) Und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt der Weiße Winterkalvill als eine der wertvollsten Tafelsorten in Europa. In Südtirol war er gar die am meisten angebaute Sorte. Die "Meraner Kalville Exportgesellschaft" lieferte ihre Äpfel bis an den Zarenhof. (6) (7) Für qualitativ hochwertige Früchte wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu 1,50 Reichsmark pro Stück gezahlt. Eine luxuriöse Frucht, wenn man bedenkt, dass ein monatliches Inspektorengehalt damals bei 412 Reichsmark lag. (8) Bedenkt man, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die heute noch marktüblichen Sorten wie Golden Delicious, Cox Orangenrenette oder Schöner aus Boskoop bereits verbreitet waren, kann man die Fruchtqualität des Weißen Winterkalvills in etwa erahnen.

Doch wo liegen die Gründe dafür, dass wir diese Delikatesse heute am Markt nicht mehr vorfinden? Sicher spielt die genannte Krankheits- und Schädlingsanfälligkeit eine gewisse Rolle, doch die meisten heute marktüblichen Sorten sind ähnlich empfindlich. Nachteilig für den Handel ist die starke Druckempfindlichkeit der Frucht. Daher wurden früher die nur nussgroßen Früchte bereits am Baum eingetütet. (9) Zudem müssen die Äpfel während der Lagerung ständig kontrolliert werden, ob sich nicht Faulstellen gebildet haben. In den vollautomatischen Kohlendioxid-Stickstoff-Lagern ist so etwas aber kaum möglich.

Der Weiße Winterkalvill besitzt eine erfrischende Säure, ähnlich wie der Boskoop. Im Trend liegen aber derzeit eher süße Äpfel wie der Gala oder die Sorte Fuji. Rot sollten Äpfel ebenfalls sein, offenbar hat man sich am Golden Delicious satt gesehen (und gegessen). Ein weiteres Züchtungsziel moderner Sorten ist der "knackige Biss". Der Weiße Winterkalvill hat aber, wie übrigens viele alte Sorten, ein etwas weicheres Fruchtfleisch. Der Ertrag dieser Sorte ist als mittelmäßig einzustufen. Dies reicht heutzutage nicht mehr aus, um eine Sorte auf dem stark umkämpften Apfelmarkt konkurrenzfähig anbieten zu können. Der Geschmack ist heute also nicht mehr das wichtigste Kriterium für die Markteignung einer Obstsorte.

Daher bleibt nur die Möglichkeit, diese Sorte selbst im Garten anzubauen. Johann Prokop MAYER empfiehlt den Weißen Winterkalvill nicht als Hochstamm, da "der Untergang des Stammes" spätestens nach 25 Jahren einsetze und kaum aufzuhalten sei. Man könne man das Siechtum des Hochstamms nur etwas hinauszögern, indem man ihm durch "Waschen, und Abkratzen seiner Rinde, durch Aufdeckung der Wurzeln, erfrischende Uiberschläge, Aderlassen, Ausbrennen der schadhaften Theile, und durch andere bekannte Mittel zu Hülfe" komme. (10) Man sollte den Weißen Winterkalvill also eher auf einer schwach wachsenden Unterlage als Spindelbusch ziehen. "Als Spalier (...), als Zwerg- und Kesselbaum, kurz in jeder anderen Form, die mit Zwang verknüpft ist, und die ihn der Zucht des Messers unterwirft, erhält dieser Baum sein gutes Ansehen, seine Gesundheit, und seine Kräfte sehr lange." (10)

Michael Degle


Verwendete Literatur:
(1) BAUHIN, Johann (1598): Historia fontis et balnei Bollensis. Montisbeligardi, S. 86
(2) MATHIEU, Carl (1889): Nomenclator Pomologicus.
Berlin, S. 148
(3) HARTMANN, Walter; FRITZ, Eckhart (2008). Farbatlas alte Obstsorten. Stuttgart
(4) MAYER, Johann Prokop (1801): Pomona Franconica. Band 3. Nürnberg, S. 79
(5) "Nach der Arbeit" Zeitschrift - ohne Autor (1935-56), Farbtafeln aus der Beilage der Illustrierten Wochenzeitung - Obsttafel Nr. 021
(6) GÖTZ, Gerhard; Silbereisen, Robert (1989): Obstsortenatlas. Stuttgart, S. 143
(7) GRIMM, Alois (1910): Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Tirol, mit vergleichender Darstellung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in den angrenzenden oesterreichischen Alpenländern, sowie Bayern, Italien und der Schweiz Zürich, S. 59
(8) WIKIPEDIA 02/2012
(9) GÖTZ, Gerhard; Silbereisen, Robert (1989): Obstsortenatlas. Stuttgart, S. 144
(10) MAYER, Johann Prokop (1801): Pomona Franconica. Band 3. Nürnberg, S. 76 f.


Aepfel Torte mit Zitronenguß:
Rezept aus "Die wohlerfahrene Augsburger Köchin" (11)

Man sticht gute Borsdorfer Aepfel [oder Weißen Winterkalvill o.ä.] aus, schält und schneidet sie entzwei und dämpft sie mit etwas Wein, Zucker, der Schale einer halben Zitrone und deren Saft kurz ein und legt sie dann zum Erkalten auf eine Platte. Alsdann belegt man eine Blechform, der man den Rand abnehmen kann, mit feinem Butterteig [=Blätterteig], läßt diesen einen starken Finger breit heraufgehen und belegt den Boden derselben mit den kalt gewordenen Aepfeln. Nun rührt man 4 Loth fein gesiebten Zucker mit dem Gelben von 3 Eiern, reibt eine Zitrone auf Zucker ab und gibt diese darein, schlägt sodann das Weiße der Eier zu Schnee, rührt ihn mit dem Saft einer Zitrone unter die Masse, gießt diese an die Torte und backt sie in einem frischen Ofen schön.

(11) EMERICH, Elisabetha (1862): Die wohlerfahrene Augsburger Köchin oder die Kunst, mit geringem Aufwande schmackhaft und gründlich kochen zu lernen. Augsburg S. 301

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