Botanischer Obstgarten, Heilbronn
Von der Knabenarbeitsanstalt zum Botanischen Obstgarten
Um der zunehmenden Armut und Verwahrlosung - vor allem der Kinder – entgegenzuwirken, haben engagierte Heilbronner Bürger 1850 den Armenversorgungsverein und 1859 eine Knabenarbeitsanstalt gegründet. Diese zieht 1900 auf das Gelände des heutigen Botanischen Obstgartens und wird in „Knabenbeschäftigungs-Anstalt“ umbenannt. Sie hat den Zweck, Knaben „in der vom Schulbesuche freien Zeit unter Aufsicht zu beschäftigen, sie dadurch vor Einflüssen nachteiliger Gesellschaft zu bewahren, an nützliche Tätigkeit, Ordnung, Reinlichkeit, Gehorsam und gute Sitten zu gewöhnen, sowie Gelegenheit zu einem kleinen Verdienste...zu geben“. Die Buben sind in einer Baumschule, in der Obst-, Gemüse- und Zierpflanzengärtnerei und mit einfachen handwerklichen Arbeiten beschäftigt. Reformpädagogische Ansätze, wie die des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), denen in Heilbronn von einem Lehrer nachgeeifert wurden, bildeten die geistige Grundlage.
Nach der Auflösung des Vereins 1934 wird das Areal vom Städtischen Obstgut und ab 1965 als Baumschule genutzt.
Im Jahr 1998 ergreifen wiederum engagierte Bürger im Zusammenwirken mit dem damaligen Baubürgermeister und dem Grünflächenamt die Initiative und erreichen noch im selben Jahr den Beschluss des Gemeinderats, auf dem Gelände eine „ökologisch bewirtschaftete Gartenanlage mit Arboretum, Klein-, Schul- und Schaugärten“ einzurichten. Im Jahr 2000 wird der Förderverein Garten- und Baukultur gegründet und setzt sich zum Ziel, den Botanischen Obstgarten aufzubauen und mit Leben zu füllen.
Dazu gehört die Anlage von über 100 verschiedenen heimischen Obstsorten, ausgedehnte Staudenpflanzungen, eine Sammlung von inzwischen 14 historischen Gartenhäusern und Gartenlauben, die dadurch vor dem Verfall und der Zerstörung bewahrt wurden. Das älteste Gartenhaus stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und dient heute als Bienenhaus, außerdem gehört der Teil eines Eisenbahnwagens der Kgl. Württembergischen Eisenbahn von 1847 und Musterexemplare aus der Biedermeier- und der Gründerzeit zur Sammlung.
Die auf diese Weise entwickelte Gartenanlage wird vom Förderverein mit Leben erfüllt, indem in jedem Jahr ein anspruchsvolles Gartenkulturprogramm mit 2 herausragenden Märkten, zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, Führungen und Vorträgen durchgeführt wird. Die Stauden des Gartens werden im Hofladen zu anspruchsvollen floristischen Produkten verarbeitet. In einem Kooperationsprojekt mit einer Heilbronner Förderschule wird seit der Sommersaison 2008 an zwei Nachmittagen in der Woche ein Café mit eigenen Produkten aus der Schulküche betrieben.
In der Weiterentwicklung der geschichtlichen Wurzeln wird seit 2014 mit dem Projekt ELEMENTA ein Ausbildungsprogramm für Grundschüler in den Bereichen Natur und Umwelt durchgeführt. Hier können die Grundschüler unterrichtsbegleitend praktische Erfahrungen und Wissen in Themen wie „Die Honigbiene“, „Obsternte- und verwertung“, „Regenwurm“, „Was blüht in der Wiese?“, „Die Vögel im Obstgarten“ und andere sammeln. Die praktische Tätigkeit wird in der Jugendkunstschule auf dem Gelände künstlerisch vertieft.
Auf diese Weise hat sich der Botanische Obstgarten in der Stadt und darüber hinaus einen guten Ruf erworben, der durch die Einbeziehung in das Netzwerk Küchengarten weiter entwickelt werden soll.
Ulrich Frey