Der Weiße Maulbeerbaum
(Morus alba)
"… an Nutzen nichts gleicht dem Maulbeerbaum."(1)
Dies schrieb 1745 der Wissenschaftler und Literat Joseph du Fresne de Francheville (1704 – 1781) Mitglied der Akademie der Wissenschaft und zeitweilig von Friedrich II. (1712 – 1786) mit der Aufsicht des Seidenbaues beauftragt, über den Weißen Maulbeerbaum. So verweist er neben der einzigartigen Bedeutung für die Seidenproduktion auch auf die weiteren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten dieses Baumes.
Die Gattung Morus der Familie der Maulbeergewächse (Moraceae) in der Ordnung der Rosenartigen (Rosales) umfasst weltweit 14 Arten. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich in der gemäßigten, subtropischen und tropischen Zone. In Europa fehlten sie vor ihrer Kultivierung gänzlich. Größere Bedeutung als Nutzpflanze fanden zwei Arten. Der "Maulbeerbaum ist zweyerley Geschlechts / mit weißen und schwarzen Beeren"(2) – Morus alba und Morus nigra. Letzterer stammt aus dem persischen Raum und wurde wegen der wohlschmeckenden Früchte seit der Antike in Europa angebaut.
"Der weiße Maulbeerbaum stammt aus China und wird bei natürlichem Wuchs bis 15 m hoch. Seine zarten hellgrünen Blätter variieren von lindenblattartig bis zu feigenblattförmig.
In seiner Jugend wächst er sehr rasch, ist aber auch frostempfindlich. Die Ende Juni bis Mitte Juli reifenden Früchte können sowohl weiß, violett, rot oder schwarz sein, was selbst bei Fachleuten dazu führt, einen Morus alba für einen Morus nigra auszugeben. Von Morus alba als alter Kultursorte existieren viele Sorten."(3) Die wichtigsten waren ´rosea´ wegen der großen und leicht zu erntenden Blätter und 'pendula' als Ziergehölz.
Vor gut 5000 Jahren begann die Nutzungsgeschichte des Weißen Maulbeerbaums mit der Entdeckung des auf ihm monophag lebenden Maulbeer-Seidenspinners (Bombyx mori) in China.
Die Zucht der Raupen und die Verarbeitung der Kokons war für Jahrhunderte ein streng geschütztes Geheimnis. Die kostbare Seide wurde aber seit dem 2 Jahrhundert v. d. Z. nach Europa gehandelt.
Durch langsame Erhöhung der Raumtemperatur auf ca. 23°C regt man die Raupen zum Schlüpfen an. Anfangs müssen sie täglich 7-mal mit relativ wenigen aber kleinen oder zerklei-nerten frischen Blättern gefüttert werden. Später bedürfen sie ganzer Zweige mit großen Blättern. Nach 32 Tagen und vier Häutungen, die Raupen wiegen mittlerweile das 7000-fache ihres Anfangsgewichtes, beginnt das Einspinnen. Die Kokons werden nach ca. 10 Tagen "geerntet" und in kochendem Wasser abgetötet. Nun kann der Seidenfaden abgehaspelt werden.(4)
Zwei Mönche brachten im Jahre 552 versteckt in ihren Wander-stöcken die Eier des Seidenspinners und die Samen des Weißen Maulbeerbaums nach Byzanz. Von dort gelangten die Geheimnisse des Seidenbaus und mit ihr die Seidenspinner und die weißen Maulbeerbäume im 8. Jahrhundert nach Spanien, im 12. Jahrhundert nach Italien und um 1500 nach Frankreich. In vielen Fällen setzte sich der Seidenbau durch und mit ihm wurden etliche Maulbeerbäume gepflanzt und zeugten als sichtbare Zeichen von der neuen Handwerkskunst.
Im deutschen Gebiet beschäftigte sich als erste Elisabeth Magdalene (1537 - 1595), Herzogin von Braunschweig-Lüneburg und Tochter des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II (1505 - 1571) mit dem Seidenbau. Der erste Maulbeerbaum stand allerdings in Nürnberg. Auch in anderen Teilen Deutschlands setzten um 1600 die ersten Bemühungen um den Seidenbau ein und mit ihr die Verbreitung des Weißen Maulbeerbaums. Diese kamen aber mit den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges zum erliegen.(5) Der Brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620 - 1688) schenkte dem Seidenbau wieder mehr Aufmerksamkeit. Durch die Aufnahme der u. a. auch im Seidenbau gut unterrichteten Hugenotten und durch Anregungen des Philosphen Gottfried Wilhelm von Leibnitz (1646 – 1716) verstärkten sich der Seidenbau unter Friedrich I. (1657 – 1713) und Friedrich Wilhelm I. (1688 – 1740). Neben den vielen Edikten zur Beförderung des Seidenbaues und der Maulbeer-pflanzungen seiner Vorgänger setzte Friedrich II. ab dem ersten Jahr seiner Regierung etliche hinzu, "die eine beachtliche Seidenproduktion in Preußen bewirkten, jedoch letztlich ökonomisch nicht den erhofften Erfolg brachten."(6) Ja sogar als wirtschaftliches Desaster angesehen werden müssen. All diese Bemühungen waren mit umfassenden Pflanzaktionen begleitet. So gab es 1782 allein in der Kurmark rund 380000 Weiße Maulbeerbäume.(7)
Neben den staatlichen Fördermaßnahmen und Edikten entstanden im 18. Jahrhundert etliche Traktate zum Seidenbau in denen meist auch der Anbau und die Pflege des Weißen Maulbeerbaumes ausführlich beschrieben werden. In den Gartenbüchern der damaligen Zeit fand meist der Schwarze Maulbeerbaum, der Früchte wegen, mehr Beachtung.
Die preußischen Bemühungen im 18. Jahrhundert gingen soweit, dass der bayrische Gelehrte Christian Baumann in seinem 1784 erschienenen Traktat: "Der Seidenbau in Deutschland" konstatierte: "In den Brandenburgischen Landen war man im Betreff des Seidenbaues am wenigsten müssig, und brachte ihm zur Beschämung aller deutschen Völker, die unter beglückteren Himmelsstrichen wohnen, so weit, daß man wirklich bekennen muß, die Mühen und Klugheit überwinden alles".(8)
Unter diesen Bedingungen breitete sich der Weiße Maulberbaum in den preußischen aber auch in anderen deutschen Regionen aus, nicht in den Gärten sondern in der Kulturlandschaft auf Friedhöfen, an Dorfschulen, als Alleen und Plantagen.
Der durch Kriege, Krankheiten der Seidenraupen und auf Grund immer wieder ausbleibenden ökonomischen Erfolges rückgängige Seidenbau flammte immer wieder gefördert durch staatliche Subventionen auf. So z. B. während des Zweiten Weltkriegs in der sogenannten "Erzeugungsschlacht" zur Produktion von Fallschirmseide und letztmalig in den frühen Jahren der DDR zur Auslastung der heimischen Mitteldeutschen Spinnhütte in Plauen. Immer wurden die alten erhaltenen Maulbeerbäume zur Blattgewinnung genutzt aber auch neue Anpflanzungen kamen hinzu. Durch den einsetzenden globalen Handel und die Entwicklung von Kunstfasern verschwand der gewerbliche Seidenbau aus Deutschland. Die Plauer Spinnhütte kaufte ab 1967 ausschließlich Seiden-Vorgarn aus dem Ausland. Die westdeutsche Spinnhütte in Celle gab bereits 1945 auf. So wurden auch die Weißen Maulbeerbäume nicht mehr gebraucht und aus Unkenntnis oder anderweitiger Interessen entfernt. Die Pflege der Seidenbautradition und mit ihr die Pflege alter und die Anpflanzung neuer Weißer Maulbeerbäume wird heute nur noch von einigen Museen und regionalen Vereinen betrieben.(9)
Neben der einzigartigen Verbindung zum Maulbeer-Seidenspinner weist der Weiße Maulbeerbaum allerdings weit mehr Nutzungsmöglichkeiten auf. So berichtet Richmart 1928 etwas propagandistisch:
"Wer aber, ohne sich dem Seidenbau zu widmen, das Maulbeerlaub selbst verwenden will, kann es als sehr gutes Kraftfutter für Rindvieh, Ziegen und Schafe gebrauchen […].Die Früchte liefern einen wohlschmeckenden, süßen Saft, der zu einem den Rübensaft an Süßigkeit übertreffenden Sirup verarbeitet werden kann. Als Brennholz ist das Holz der Maulbeere dem der Eiche, Buche oder Birke gleichzustellen und als Nutzholz vielen anderen vorzuziehen. Denn es ist hart und dauerhaft und zur Anfertigung von Möbeln aller Art besonders geeignet. Seine hellgelbe Farbe bedarf keiner Beize und kann in Naturfarbe poliert werden. Auch für den Drechsler liefert die Maulbeere vorzügliches Holz zu Gegenständen der Kleinkunst. Die Böttcher verwenden es wegen seiner Widerstandsfähigkeit gegen Fäulnis mit großem Vorteil. Aus dem unter der Rinde der Zweige befindlichen Bast lässt sich ein sehr brauchbarer, der Nessel ähnlicher Faserstoff herstellen, und die geschälten Ruten und Zweige sind für das Korbmachergewerbe sehr wertvoll."(10)
Mathias Hopp
Verwendete Literatur:
(1) Joseph du Fresne de Francheville, zitiert nach Heilmeyer, M. und Seiler, M.: Maulbeern Zwischen Glaube und Hoffnung, Potsdam 2006.
(2) Müller, J. G.: Deliciae Hortenses, Stuttgart 1679, S. 44.
(3) Heilmeyer, M. und Seiler, M.: a. a. O. S. 42.
(4) Heilmeyer, M. und Seiler, M.: a. a. O. S. 47.
(5) Krausch, H-D. und Wimmer, C. A.: Maulbeerbau Landschaftsprojekte zur Förderung der einheimischen Industrie, In: Gartenkultur in Brandenburg und Berlin, hrsg. vom Brandenburgischen Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung, Potsdam 2000, S. 56 – 59.
(6) Heilmeyer, M. und Seiler, M.: a. a. O. S. 69.
(7) Krausch, H-D. und Wimmer, C. A.: a. a. O.; In ganz Preußen sollen es über 1 Millionen Morus alba gewesen sein.
(8) Baumann, P. C.: Der Seidenbau in Deutschland, Eichstätt 1784, S. 23.
(9) Janke, V.: „Vom Maulbeerblatt zum Seidenkleid“ Eine kleine Geschichte des Seidenbaus in Norddeutschland; In: Rüther, W. (Hrsg.): Berichte aus dem Freilichtmuseum Molfsee - Landesmuseum für Volkskunde“, Molfsee 2013.
(10) Richmart, Hans: Praktische Anleitung zum erfolgreichen Seidenbau, 12. Aufl., Dessau o. J., S. 80f. Das junge Holz lässt sich auf Grund seines gelben Farbstoffes auch hervorragend zum Färben verwenden.
Abbildungen:
01. Theodorus, Jacobus gen. Tabernaemontanus: New Kreuterbuch, Offenbach 1731 S. 1391
02. Bertuch, F. J. und Bertuch, C.: Bilderbuch für Kinder, Band 1, 2. Aufl., Weimar, 1801.
03. Raff, G. C. und Meyer, D. F. A. A.: Naturgeschichte für Kinder, Göttingen 1793
04. Riegel: Der Allgemeine Klug- und Rechtsverständliche Haus.Vatter, Nürnberg 1702
05. Richmart, H.: Praktische Anleitung zum erfolgreichen Seidenbau, 12. Aufl., Dessau o. J.
06-08 und 13-16 von Dagmar Schlaugk
17 von Ines Rönnefart
09-12 und 18-23 von Mathias Hopp
Rezept:
Marmelade aus weißen Maulbeeren
500 g weiße Maulbeeren
250 g Gelierzucker
2 EL Limettensaft
Die Maulbeeren sollen reif, aber nicht zu weich sein. Die Früchte waschen und portionsweise durch ein Sieb streichen. In einem hohen Topf mit dem Gelierzucker bedecken, zum Kochen bringen, 3 Minuten sprudelnd kochen, Limettensaft unterrühren. Sofort in heiß ausgespülte Gläser füllen und mit einem Deckel schließen.
(Heilmeyer, M. und Seiler, M.: Maulbeern Zwischen Glaube und Hoffnung, Potsdam 2006, S. 30.)